Die Belastung hessischer Gewässer mit Arzneimitteln ist durch Forschungsprogramme Mitte der 90er Jahre bekannt geworden. Im Zusammenhang mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wurden in den Jahren 2007 bis 2012 orientierend bei insgesamt ca. 100 Gewässermessstellen Untersuchungen auf Pflanzenschutzmittel gemäß den Vorgaben der WRRL durchgeführt.
Eine Reihe von Arzneimittelwirkstoffen konnte damals bereits ohne wesentlichen Mehraufwand bei der Untersuchung bestimmter Pflanzenschutzmittelwirkstoffe miterfasst werden. Vor allem in Wasserkörpern mit erhöhtem Abwasseranteil bestätigte sich die Vermutung, dass hier auch Arzneimittel in erhöhter Konzentration nachgewiesen werden können. Seit über 10 Jahren verfolgt Hessen bereits ein umfangreiches Messprogramm von Arzneimittelwirkstoffen und einigen ihrer Abbauprodukte (Metaboliten) in den Fließgewässern, siehe Stoffliste der Jahre 2014-2023.
Im Messjahr 2023 wurden 108 Arzneimittel bzw. Metaboliten an 32 Messstellen untersucht.
Da dem Arzneimittelmessprogramm in einem dreijährlichen Turnus jährlich wechselnde Messstellen zu Grunde liegen, werden im Folgenden die drei aktuellsten Messjahre 2021-2023 mit zusammen 97 untersuchten Messstellen gemeinsam betrachtet.
Einen ersten Eindruck über das Inventar von Arzneimitteln in hessischen Gewässern gibt eine Aufstellung der Fundhäufigkeit der einzelnen Substanzen. In der folgenden Abbildung ist die prozentuale Verteilung der Analysenergebnisse aus den Jahren 2021-2023 in Anteil Messwerte > Bestimmungsgrenze (BG), Anteil < BG und Anteil Messwerte „nicht nachweisbar“ dargestellt. Nur wenn ein Messwert > BG ist, liegt ein quantitatives, d. h. zahlenmäßiges Ergebnis vor. In Klammern ist die Anzahl der im Zeitraum 2021-2023 erfolgten Analysen für jede Einzelsubstanz angegeben.
Die 10 prozentual am häufigsten nachgewiesenen Substanzen mit Median waren in den Jahren 2021-2023:
• Fexofenadin 0,13 µg/l (Antihistaminikum)
• Pregabalin 0,0795 µg/l (Antiepileptikum)
• Metformin 0,68 µg/l (Antidiabetikum)
• Candesartan 0,41 µg/l (Antihypertonikum)
• N-Acetyl-4-aminoantipyrin 0,32 µg/l (Metabolit des Fiebersenkers Aminophenazon)
• 4-Formylaminoantipyrin 0,31 µg/l (Abbauprodukt des Schmerzmittels Metamizol)
• Oxipurinol 2,1 µg/l (Metabolit des Urikostatikum Allopurinol)
• Sitagliptin 0,23 µg/l (Antidiabetikum)
• Diclofenac 0,27 µg/l (Schmerzmittel)
• Gabapentin 0,3 µg/l (Antiepileptikum)
Alle 10 Substanzen sind in 90 % der untersuchten Proben in diesem Zeitraum in Konzentrationen oberhalb der Bestimmungsgrenze nachweisbar. Die Stoffe Fexofenadin und Pregabalin waren in 100% der Proben nachweisbar, wurden aber nur in geringem Umfang (26 Messwerte) an wenigen Messstationen erfasst. Vor allem im direkten Vergleich zu der Auswertung der Pflanzenschutzmittel, bei welchen i.d.R. ein anderes Eintragsverhalten in das Gewässer zu erwarten ist, zeigt sich, dass bei einer Grenze der aufgeführten Einzelsubstanzen bis 0,1 µg/l die Stoffliste deutlich größer ist. Auch findet der Eintrag im Vergleich zu Pflanzenschutzmitteln nicht während bestimmten Anwendungszeiträumen statt, sondern es ist vielmehr ein relativ kontinuierlicher Eintrag über die Kläranlagen zu erwarten, wodurch die gemessene Konzentration u.a. stärker vom Abwasseranteil im Gewässer abhängen sollte.
Bei bestimmten Arzneimitteln treten aber im Jahresverlauf zusätzliche Dynamiken auf, z. B. durch photolytische Abbauprozesse (Abbau durch UV-Strahlung) oder temperaturabhängige Abbauraten in den Kläranlagen.
Der Verlauf der Konzentration des Stoffs Oxipurinol, der in üblichen kommunalen Kläranlagen keinem nennenswerten Abbau unterliegt, ist in der folgenden Abbildung in Abhängigkeit vom Abfluss an der Messstation Main (Bischofsheim) dargestellt. Deutlich zu erkennen ist der verdünnende Effekt bei hohem Abfluss. Dabei bleibt die Fracht, also die pro Zeit transportierte Substanzmenge, relativ konstant, da die Eintragsmenge durch die Kläranlagen nicht vom Abfluss des Gewässers abhängt.
Analyse von ausgewählten Beurteilungswerten
Die folgende Abbildung zeigt die Einhaltung bzw. Überschreitung der Beurteilungswerte ausgewählter Substanzen für die Messstellen aus dem Zeitraum 2021-2023.
Deutlich sticht die hohe Anzahl an Messstellen hervor, bei denen der Jahresdurchschnitts-Umweltqualitätsnorm-Vorschlag (JD-UQN-V) von Diclofenac (0,04 µg/l) überschritten wird. Bei keinem anderen Arzneimittel zeigt sich eine so umfangreiche Überschreitung eines vorgeschlagenen Wertes. Hierbei ist aber zu bedenken, dass es für viele Arzneimittel derzeit noch keine Umweltqualitätsnormvorschläge gibt. An einzelnen Messstellen können auch bei Azithromycin und Clarithromycin, zwei Antibiotika, Überschreitungen von Prüfwerten festgestellt werden. Bei Azithromycin ist häufig die Bestimmungsgrenze nicht ausreichend, um die Einhaltung der Zielwert-Vorschläge zu prüfen.
Diclofenac und Carbamazepin
Als Beispiel soll hier die Gewässerbelastung mit dem Schmerzmittel Diclofenac und dem Antiepileptikum Carbamazepin in den untersuchten hessischen Oberflächenwasserkörpern dargestellt werden:
Diclofenac hat einen UQN-Vorschlag von 0,04 µg/l bezogen auf den Jahresmittelwert, Carbamazepin von 2,5 µg/l. Die beiden Abbildungen unten beziehen sich wieder auf die Jahre 2021-2023. Falls eine Messstelle in mehreren Jahren beprobt wurde, wurde jeweils das aktuellste Messjahr herangezogen, sofern mindestens 9 Messwerte in diesem Jahr zur Berechnung eines Jahresdurchschnittswertes vorliegen. Es ist zu erkennen, dass Diclofenac den UQN-Vorschlag von 0,04 µg/l an fast allen betrachteten Messstellen überschreitet. Spitzenreiter war der Beinesgraben mit einer Jahresdurchschnittskonzentrationen von 2,93 µg/l im Jahr 2021. Carbamazepin weist auf Grund des recht hohen UQN-Vorschlags von 2,5 µg/l keine Überschreitungen auf. Dennoch sind vielfach nicht unerhebliche Jahresdurchschnittskonzentrationen feststellbar. Hier führt die Rinne mit einer Jahresdurchschnittskonzentration von 1,07 µg/l.
Dies verdeutlicht, dass es je nach betrachteter Substanz, vermutlich jetzt schon zu nachteiligen Auswirkungen auf unsere Gewässer kommt, und dass dies bei bestimmten Substanzen ein relativ großflächig verbreitetes Problem sein kann.