Klimawandel und biologische Vielfalt
Die Auswirkungen des Klimawandels beeinflussen die biologische Vielfalt auf allen Ebenen: von einzelnen Individuen über Artgemeinschaften bis hin zu ganzen Ökosystemen. Durch die Verschiebung der Klima- und Vegetationszonen kommt es zwangsläufig auch zu Veränderungen der Artenzusammensetzung in den Gebieten. Es ist davon auszugehen, dass Artengemeinschaften fragmentiert und neu kombiniert werden. Zudem ist mit teilweisen Verlusten hochangepasster sensibler Arten und Arealausweitungen gewöhnlicher Arten zu rechnen.
Neben der Verschiebung der Vegetationszonen haben insbesondere die Temperatur- und Niederschlagsänderungen sowie die Zunahme von Extremereignissen wie Starkregen, Stürme und Dürreperioden erhebliche Konsequenzen für die Artenvielfalt. Zu den vielfältigen direkten Effekten zählen vor allem physiologische Auswirkungen, phänologische Veränderungen wie zum Beispiel ein früherer Blühbeginn oder ein verändertes Zugverhalten von Vögeln sowie Arealverschiebungen in Richtung der Pole oder in die Höhenlagen. Folglich kann es zur räumlichen oder zeitlichen Entkopplung von Fortpflanzungs- oder Nahrungsbeziehungen und somit zur Desynchronisation von Artengemeinschaften kommen.
Aber auch Zuwanderungen wärmeliebender Arten etwa aus dem Mittelmeerraum sind bereits heute feststellbar. Ein Paradebeispiel für die nordwärts gerichtete Ausbreitung mediterraner Arten in Deutschland ist der Bienenfresser, ein auffallend farbenfroher Vogel aus dem Mittelmeerraum, der seit einigen Jahren wieder vermehrt in Deutschland brütet, nachdem er in den 80er Jahren als ausgestorben galt. Ein weiteres imposantes Beispiel ist die Europäische Gottesanbeterin, eine Fangschreckenart, die seit 2006 in Hessen reproduktive Vorkommen in Hessen hat und sich in den letzten Jahren stark ausbreitet.
Folgende Faktoren sind unter anderem wichtig, um die Klimasensibilität einer Art abzuschätzen:
- Ökologische (thermische) Amplitude: Wie gut kommt die Art mit unterschiedlichen Temperaturbedingungen zurecht? Ist sie eher an kalte oder warme Umweltbedingungen angepasst (von kalt-stenotopen über indifferente bis hin zu warm-stenotopen Arten)?
- Biotopbindung: Ist das Vorkommen an spezielle Biotope geknüpft oder kann ein breites Spektrum an Lebensräumen besiedelt werden?
- Migrationsfähigkeit: Handelt es sich um eine ausbreitungsstarke Art, die große Distanzen zurücklegen und neue Lebensräume erschließen kann oder ist sie eher ortstreu und wenig mobil? Können neue Gebiete ohne Hilfe erreicht werden oder ist die Art auf Transportmedien angewiesen (Wind, Wasser, Tiere, Mensch)?
- Verbundabhängigkeit: Werden bestimmte, durchgehende Biotopstrukturen für die Ausbreitung benötigt oder genügen vereinzelte „Trittsteine“?
- Klimasensibilität der Lebensräume: Ist die Art an Lebensräume gebunden, die ebenfalls durch den Klimawandel bedroht sind (z. B. wasserabhängige Lebensräume wie Feuchtwiesen, Moore oder montane Lebensräume wie Bergmähwiesen)?
- Gefährdungsgrad: Gilt die Art bereits als gefährdet? Wie ist die Bestandsituation der Art (Rote Liste Art)?
Liste potentieller Klimaverlierer in Hessen
Im Rahmen des Integrierten Klimaschutzplans (IKSP 2025)* wurden die Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensraumtypen identifiziert, die durch den Klimawandel potentiell einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind. Dabei lag der Fokus auf den naturschutzfachlich relevanten Arten und Lebensräumen. Die Auswertung lieferte die Grundlage für die prioritäre IKSP-Maßnahme L 14 „Erhaltung und Weiterentwicklung von Biotopverbundsystemen und Vermeidung weiterer Landschaftszerschneidungen“.
Durch Literaturrecherche und Expertenbefragung wurden über 200 Arten identifiziert, für die es Hinweise auf eine erhöhte Gefährdungsdisposition durch die Folgen des Klimawandels gibt. Davon sind ca. 30 % bereits jetzt vom Aussterben bedroht (RL 1) und weitere 30 % gelten als stark gefährdet (RL 2). Ungefähr die Hälfte der potentiellen Klimaverlierer sind auch Arten der Hessen-Liste, für deren Erhalt Hessen eine besondere Verantwortung trägt.
Bezüglich der Lebensraumtypen wird für 31 von insgesamt 45, die in Hessen vorkommen, von einer erhöhten Gefährdungsdisposition durch die Folgen des Klimawandels ausgegangen. Dazu gehören vor allem Lebensraumtypen, die eine hohe Grundwasser- bzw. Oberflächenwasserabhängigkeit besitzen oder auf die Höhenlagen beschränkt sind. Von den neun prioritären Lebensräumen Hessens, für die besonders strenge Schutzvorschriften gelten, gehören sieben zu den potentiellen Klimaverlierern.
*Der Integrierte Klimaschutzplan 2025 wurde mittlerweile durch den Klimaplan Hessen fortgesetzt. Der neue Maßnahmenkatalog umfasst insgesamt 90 Maßnahmen und hat eine Laufzeit bis 2030. Die IKSP-Maßnahme L 14 wird im Klimaplan weitergeführt als Maßnahme LN 10 „Biotopverbund für klimasensible Arten verbessern“ im Handlungsfeld Landnutzung. Im Rahmen dieser Maßnahme werden von den Oberen Naturschutzbehörden vielfältige Projekte initiiert, finanziert und umgesetzt, die dem Schutz und der Anpassung der Klimaverlierer-Arten und –Lebensräume dienen.