Forschungsprojekte der Vogelschutzwarte
Im Rahmen von Forschungsprojekten evaluiert die Vogelschutzwarte laufende Maßnahmen im Naturschutz. Durch Kooperationen mit Hochschulen wird dabei sichergestellt, dass Methoden, Erfassungen und Auswertungen immer aktuell sind und den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen. Da ständig Daten gesammelt werden, können außerdem aktuelle Auswertungen zur Verbreitung von gefährdeten oder bedrohten Vogelarten gemacht werden. Die Vogelschutzwarte testet dabei auch, inwiefern neue Methoden, wie beispielsweise Drohnen oder automatisierte Rufaufnahmen, im angewandten Vogelschutz helfen können.
Passives akustisches Monitoring
Die Staatliche Vogelschutzwarte Hessen hat im Frühjahr 2023 ein Pilotprojekt zur automatischen Vogelerfassung gestartet.
Für das Projekt wurden im Jahr 2023 erstmals an 15 ausgewählten Standorten – im ländlichen und städtischen Bereich – im Luftmessnetz Hessen automatische, ferngesteuerte Aufnahmegeräte angebracht. Diese Geräte können Vogelstimmen selbstständig aufnehmen und zur Auswertung versenden. Im Luftmessnetz Hessen werden normalerweise ausschließlich Luftschadstoffe durch das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) gemessen, hier aber konnte es mit seiner Infrastruktur die Kolleginnen und Kollegen aus der Vogelschutzwarte Hessen unterstützen. Da die Stationen im Luftmessnetz über Städte, Dörfer aber auch Wiesen und Wälder verteilt sind, eignen sie sich besonders gut. Die Auswertung der Tonspuren erfolgt mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz, deren Ergebnisse stichprobenartig von Experten kontrolliert werden.
Von April bis Oktober 2023 konnten mit dem System insgesamt 118 Vogelarten nachgewiesen werden, das entspricht etwa zwei Drittel aller Brutvögel Hessens. Am häufigsten wurden Amsel, Blaumeise und Rotkehlchen registriert, die in vielen Lebensräumen in Hessen heimisch sind. Die Expertinnen und Experten hörten aber auch seltenere Arten, wie beispielsweise Sperlingskauz oder Wachtel. Ein akustisches Monitoring kann daher wertvolle zusätzliche Informationen liefern, denn die Geräte nehmen auch zu Tageszeiten auf, zu denen meist niemand im Gelände kartiert. Mittelfristig soll so die ehrenamtliche Arbeit der Vogelschützer erleichtet und unterstützt werden.
Insgesamt haben die 15 Stationen im ersten Jahr über 12.000 Aufnahmestunden generiert. Das entspricht einer Gesamtdauer von 517 Tagen. Über 15.000 durch KI vorbestimmte Vogelstimmen wurden von den Expertinnen und Experten kontrolliert. Innerhalb des Pilotprojekts wurden die Grenzen des Monitorings ausgetestet und die Methodik stetig weiterentwickelt. Durch das akustische Monitoring sollen frühzeitig Veränderungen in der hessischen Vogelwelt festgestellt werden, etwa durch den Klimawandel, um bei sinkenden Beständen schnell Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
Die Ergebnisse aus 2023 wurden in einem Projektbericht zusammengefasst:
Projektbericht "Akustisches Vogelmonitoring"
Im Jahr 2024 wird das Projekt auf 30 Standorte ausgeweitet und die Methodik und Auswertung weiter verfeinert werden. Die zusätzlichen 15 Standorte sollen sich in naturnahen Bereichen befinden. Dort sollen die Geräte mit Solarpanelen versehen werden, um den autarken Einsatz zu testen und auszubauen und so auch Informationen zu Arten zu gewinnen, die sich nur schwer durch ein klassisches Monitoring nachweisen lassen.
Hintergrund zum Luftmessnetz Hessen
Zur Überwachung und Beurteilung der Luftqualität in Hessen betreibt das HLNUG unter anderem ein Netz aus 35 Luftmessstationen. Zur Erfassung unterschiedlicher typischer Belastungssituationen befinden sich die Luftmessstationen im ländlichen und städtischen Hintergrund sowie an Verkehrsschwerpunkten. Die Luftmessstationen sind zur kontinuierlichen Erfassung verschiedener Luftschadstoffe ausgerüstet und messen unter anderem Stickstoffdioxid (NO2), Ozon (O3) und Feinstaub der Fraktionen PM10 und PM2,5. Zusätzlich werden zur besseren Einordnung der Schadstoffwerte auch meteorologische Parameter wie beispielsweise Wind- oder Lufttemperatur und -feuchte erhoben.
Weitere Informationen:
Informationen zum Luftmessnetz Hessen des HLNUG
Aktuelle Messwerte des Luftmessnetzes
Drohnen im Naturschutz
Ob Warnsystem bei Krisensituationen oder Liefersystem für Zeitungen, die Drohnen werden bereits weltweit in vielen alltäglichen Situationen getestet oder bereits eingesetzt. Im Bereich des Naturschutzes liefern die unbemannten Luftfahrtsysteme oder kurz UAS (Unmanned Aerial Systems) wichtige Daten und Informationen, die ansonsten verborgen blieben. So können Personalkosten und Zeitaufwand reduziert werden.
Auch die Vogelwelt profitiert von dem Einsatz der Drohnen. Viele Arten, die sehr selten geworden sind, sind oftmals Bodenbrüter – insbesondere solche, die auf landwirtschaftlichen Flächen brüten. Mit dem Einsatz der Drohne und dem anschließenden Nesterschutz kann in der Landwirtschaft ein einen wichtiger Beitrag zum Schutz dieser Arten geleistet werden.
Drohnen werden auch im Monitoring von Koloniebrütern eingesetzt. So wurde beispielsweise das durch die Staatliche Vogelschutzwarte Hessen beauftragte Graureihermonitoring durch den Einsatz von Drohnen erweitert, um die Anzahl der Brutpare möglichst genau zu ermitteln. Dazu wurden die Nester in verschiedenen Kolonien sowohl vom Boden, als auch von mit der Drohne gezählt.
Bisherige Ergebnisse: Der Unterschied ist enorm! Von den Nestern, die mit der Drohne entdeckt werden, werden fast 30 % von den Erfassern am Boden nicht gesehen. Insbesondere bei kleineren Kolonien wird die Anzahl der Nester bei der Erfassung vom Boden unterschätzt, wie eine Untersuchungen in Hessen (Abb. 2) und Bayern zeigen (Mitterbacher et al. 2023). Zudem wird durch die Drohne nicht nur eine genauere Erfassung erzielt, sie gibt auch einen Einblick in die Entwicklung und Reproduktion der Brutpaare. So sind die leuchtend blauen Eier und die bereits geschlüpften Jungtiere sehr gut zu erkennen.
Weiterführende Literatur:
Mitterbacher M., Ripperger S., Rudolph B. U. (2023): Methodenvergleich bei der Nesterzählung in Graureiherkolonien Ardea cinerea: Eine Gegenüberstellung von Bodenkontrollen und Kontrollen aus der Luft. – Orn. Anz., 61 (2): 136-156; Augsburg. Zum Artikel
Die Offenlandart Braunkehlchen (Saxicola rubetra) befindet sich in Hessen in einem ungünstig-schlechten Erhaltungszustand und ist auf Landesebene vom Aussterben bedroht. Allein zwischen 1985 und 2022 hat ihr Bestand um etwa 75% abgenommen. Um die Art in Hessen wieder in einen günstigeren Erhaltungszustand zu bringen, wurde bereits 2014 ein Artenhilfskonzept (AHK) erstellt. In diesem werden Schutzmaßnahmen präsentiert, die sowohl die Verbesserung als auch die Wiederherstellung arttypischer Habitatstrukturen zum Ziel haben. Die im Artenhilfskonzept beschriebenen Maßnahmen können im Bereich der Brutstandorte im Einzelfall mit Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen geschützter Lebensraumtypen (LRT, FFH-RL Anhang I) kollidieren.
Von 2023 bis 2025 führt die Staatliche Vogelschutzwarte (HLNUG – Dezernat N3) in Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen und Werkvertragnehmern Untersuchungen durch, um die Brutplatzwahl der Braunkehlchen der letzten verbliebenen Populationen in Hessen genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei werden auf 20 Brut- und 20 Kontrollflächen Habitatparameter wie Vegetationszusammensetzung, das Vorkommen von LRTen, u.w. „am Boden“ im Rahmen eines Werkvertrags erfasst. Die Nahrungsverfügbarkeit wird in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Tierökologie der Universität Marburg durch den Einsatz von Malaise-Fallen untersucht. Im Rahmen einer Masterarbeit der Universität Münster am Institut für Landschaftsökologie wird das Projekt zudem mit Hilfe der Fernerkundung „aus der Luft“ unterstützt. Konkret sollen multiskalige Daten (UAV, Luftbild, Satellit) auf ihre Eignung zur Erfassung relevanter Habitatparameter überprüft werden. Die abgeleiteten Strukturinformationen sollen auch genutzt werden um zu überprüfen, inwiefern Fernerkundungsdaten sich eignen um potenzielle Habitate semiautomatisiert zu erfassen. Ergänzt werden die Daten durch die Informationen aus den Brutgebieten, die im Rahmen der Artberaterung im Auftrag der Staatlichen Vogelschutzwarte erhoben werden.
Wegbereiter Wiederbewaldung: Regionales Flächenmanagement zur Entwicklung multifunktionaler Wälder auf gestörten Fichtenflächen - Teilprojekt 5
Der Klimawandel erhöht die Häufigkeit, Ausdehnung und Intensität natürlicher Störungen. Insbesondere Nadelwälder sind anfällig für natürliche Störungen wie Stürme, Waldbrände oder Ausbrüche von Borkenkäfern. In den letzten Jahren sind besonders in Deutschland viele Fichten vom Buchdrucker (lps typographus) befallen worden. Der enorme Waldflächenverlust und die dadurch entstandenen wirtschaftlichen Schäden stellen viele Forstämter und Waldbesitzer vor die Frage, wie mit diesen Flächen umzugehen ist.
Die Staatliche Vogelschutzwarte Hessen am Zentrum für Artenvielfalt des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) befasst sich zusammen mit weiteren Projektpartnern aus Mitteldeutschland im Rahmen des Forschungsprojekts „Wegbereiter Wiederbewaldung: Regionales Flächenmanagement zur Entwicklung multifunktionaler Wälder auf gestörten Fichtenflächen“ mit genau dieser Frage. Gefördert wird das Forschungsvorhaben durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der Fördermaßnahme „REGULUS - Regionale Innovationsgruppen für eine klimaschützende Wald- und Holzwirtschaft".
Das Ziel des Projektes ist es, Naturschutz und Waldbewirtschaftung auf Borkenkäferflächen zu kombinieren und daraus wissenschaftliche Handlungsempfehlungen und Anpassungsstrategien für Entscheidungsträger im Waldbau zu entwickeln. Dazu wurden drei verschiedene Behandlungsvarianten mit unterschiedlicher Einbeziehung von Totholz in drei Projektgebieten in Thüringen eingerichtet. Ein weiteres Untersuchungsgebiet im Forstamt Wehretal in Hessen ergänzt die bereits bestehenden Projektgebiete in Thüringen.
Um ein breitgefächertes Monitoring der Behandlungsvarianten zu ermöglichen, untersuchen sechs Projektpartner deren Auswirkungen auf Flora, Fauna, Pilze, Boden und Mikroklima.
Projektpartner:
- ThüringenForst, forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha
- Georg-August-Universität Göttingen
- Friedrich-Schiller-Universität Jena
- Universität Bayreuth
- Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
- Technische Universität Dresden
Janina Ebert aus dem Zentrum für Artenvielfalt im HLNUG, die das Projekt im Rahmen ihrer Doktorarbeit betreut, erfasst und bewertet dabei die Daten zu xylobionten Käfern und Vogelgemeinschaften als wichtige Indikatororganismen für Biodiversität im Wald.
Weitere Informationen:
Ökologie und Naturschutz sind ein Schwerpunkt der Universität Marburg. Gleichzeitig ist das Zentrum für Artenvielfalt im HLNUG Impulsgeber für die Erforschung offener naturschutzfachlicher Fragestellungen und vermittelt aktuelles Wissen in die naturschutzbehördliche Praxis, in die Arbeit anderer Flächenverwaltungen und in den ehrenamtlichen Naturschutz vermitteln. Das HLNUG erstellt Konzepte, Handlungsempfehlungen, Stellungnahmen und Gutachten, berät die hessischen Ministerien und Behörden und informiert die Öffentlichkeit auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Beide staatlichen Einrichtungen wollen auf den gemeinsamen Arbeitsgebieten eine engere wissenschaftliche und personelle Verbindung schaffen, um ihren hoheitlichen Aufgaben noch besser nachkommen zu können. Im Rahmen dieser Kooperation wurde durch das Präsidium der Universität Marburg der Lehrstuhl für Spezielle Tierökologie eingerichtet, der durch die Besetzung mit Simon Thorn als Lehrstuhlinhaber, eng mit dem Zentrum für Artenvielfalt zusammenarbeitet.