Dossier "Sauberere Luft durch Corona"
FAQs zum "Corona-Effekt" auf die Luftqualität in Hessen (20.05.2020): Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Weniger Verkehr auf den Straßen, Flugzeuge am Boden – die Corona-Krise beeinflusst auch die Luftqualität in Hessen. Nachdem die Hessische Landesregierung am 13. März 2020 die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen hatte und die Bürger weitgehend zu Hause geblieben sind, hatte der Straßenverkehr in den Großstädten zwischenzeitlich im Mittel um etwa 30 bis 40 Prozent abgenommen – und auch die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) ist nachweislich gesunken.
Weitere Informationen und aktuelle Messwerte:
Das HLNUG misst in Hessen an drei Standorten das Verkehrsaufkommen: Limburg-Schiede, Darmstadt-Hügelstraße und Frankfurt-Höhenstraße. Das tägliche Verkehrsaufkommen ist ab Montag, 16. März 2020 Tag für Tag zurückgegangen. Mit Verschärfung des Kontaktverbots am Montag, 23. März 2020 gab es einen weiteren deutlichen Rückgang des Straßenverkehrs. Danach schwanken die Werte auf niedrigem Niveau beziehungsweise nehmen wieder leicht zu.
Im Vergleich zu der Zeit vor dem Corona-Lockdown sind die Verkehrszahlen im Mittel um circa 30 bis 40 Prozent zurückgegangen, wobei die prozentuale Verkehrsminderung an den Wochenenden stärker ausfällt als unter der Woche.
Die Konzentration an NO2 und Feinstaub in der Außenluft hängt nicht nur von den Verkehrsemissionen ab, sondern wird auch vom Wetter bestimmt. Wind und Niederschlag oder auch trockenes Wetter beeinflussen, wie sich die Schadstoffe in der Atmosphäre verteilen. Bei hohen Windgeschwindigkeiten und viel Niederschlag werden am Boden ausgestoßene Schadstoffe gut in der Umgebung verteilt und auch aus der Atmosphäre wieder ausgetragen – die NO2-Konzentrationen sind dann eher niedrig. Bei trockenem Wetter mit geringem Luftaustausch können sich Schadstoffe in der Nähe ihrer Quelle anreichern – die NO2-Konzentrationen sind dann eher hoch.
Auch die Windrichtung spielt eine Rolle für die Schadstoffbelastung an einem Standort. In der Darstellung sieht man die Windströmung in einer Straßenschlucht, bei der die Windrichtung senkrecht zur Straße verläuft. Auf der windabgewandten Straßenseite (blauer Punkt) treten niedrigere NO2-Konzentrationen auf, da sauberere Luft aus der Höhe an die Messstelle getragen wird. Auf der windzugewandten Straßenseite (roter Punkt) treten höhere NO2-Konzentrationen auf, da die vom Verkehr belastete Luft an die Messstelle transportiert wird.
Weil das Wetter so einen großen Einfluss auf die Schadstoffkonzentrationen in der Außenluft hat, kann man relativ kurze Zeiträume nicht miteinander vergleichen, ohne die meteorologischen Bedingungen zu berücksichtigen. Wird ein längerer Zeitraum beobachtet, treten verschiedene Wetterverhältnisse auf. Daraus lässt sich ein Mittelwert bilden, der repräsentativ für verschiedene meteorologische Bedingungen ist. Er ist damit besser vergleichbar mit anderen ausreichend langen Zeiträumen. Je länger der gewählte Zeitraum ist, desto weniger anfällig ist der gebildete Mittelwert gegenüber kurzzeitigen Ausreißern.
Fast zeitgleich mit dem starken Rückgang des Kfz-Verkehrs ab dem 16. März hat sich die Großwetterlage komplett umgestellt. Sie hielt ungewöhnlich lang bis etwa zum 28. April an. Eine Tiefdruckwetterlage mit hauptsächlich westlichen Strömungen, viel Wind und viel Niederschlag prägten den Februar und die ersten beiden Drittel des März‘.
Dagegen herrschte vor allem Hochdruckeinfluss mit trockener Luft und vorwiegend östlichen Strömungen im letzten Märzdrittel und fast im ganzen April. Dieser Umstand macht es besonders schwierig, die Schadstoffkonzentrationen während des Corona-Lockdowns mit den vorherigen Wochen zu vergleichen und daraus Effekte abzuleiten.
Um die Effekte möglichst früh einzuschätzen, hat das HLNUG in einer aktuellen Auswertung versucht, die meteorologischen Einflüsse zu berücksichtigen. Dafür wurden nur die Tage für einen Vergleich herangezogen, an denen gleiche oder ähnliche Windströmungen wie ab dem Corona-Lockdown herrschten. Der Vergleichszeitraum bezog sich auf das vorhergehende halbe Jahr.
Die Auswertung führte zur Einschätzung, dass die NO2-Konzentrationen ab dem Lockdown erheblich zurückgehen. Im Mittel über alle verkehrsnahen Messstellen deutet sich ein Rückgang von etwa 35 Prozent an. Dies ist eine vorläufige Einschätzung, da die Anzahl der vergleichbaren Fälle nach wie vor relativ gering ist. Weiterführende Auswertungen werden zeigen, ob sich diese Einschätzung bestätigen lässt.
In einer zweiten Auswertung hat das HLNUG analysiert, wie sich die NO2-Konzentrationen während des Lockdowns statistisch – und damit unabhängig von meteorologischen Bedingungen – verhalten. Für diese Auswertung wurde als „Corona-Zeitraum“ der 16. März bis 30. April betrachtet. Die Mittelwerte über diese circa sechseinhalb Wochen wurden verglichen mit allen Mittelwerten, die in den letzten fünf Jahren über ebenfalls sechseinhalb Wochen beobachtet wurden.
Es zeigt sich, dass die Messwerte im Corona-Zeitraum an sehr vielen Stationen in Hessen besonders niedrig sind, auch wenn innerhalb der betrachteten fünf Jahre schon vorher einige andere Zeiträume mit niedrigen Werte aufgetreten sind. An manchen Stationen wurden bezogen auf den betrachteten Zeitraum von sechseinhalb Wochen noch nie niedrigere Werte gemessen.
Im Mittel über alle Stationen im ländlichen beziehungsweise städtischen Raum liegen die Werte im Corona-Zeitraum bei sechs beziehungsweise 19 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im Mittel über alle verkehrsnahen Stationen liegt die Konzentration im Corona-Zeitraum bei 30 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das ist circa elf Prozent niedriger als der bis dahin niedrigste gemessene Mittelwert über den gleichen Zeitraum an allen verkehrsnahen Stationen. Das weist darauf hin, dass die Werte an den verkehrsnahen Standorten im Corona-Zeitraum signifikant niedriger sind als es die normale Schwankungsbreite erwarten lassen würde. Schwankungen entstehen durch sich ändernde meteorologische Einflüsse sowie geringfügige Variationen im Verkehr. Das heißt, die drastisch reduzierten Verkehrszahlen wirken sich zweifellos mindernd auf die NO2-Außenluftkonzentrationen aus.
In folgenden Abbildungen ist die Häufigkeitsverteilung von 46-Tage-Mittelwerten dargestellt. Sie bezieht sich auf die NO2-Konzentration im Zeitraum (1. Januar 2015 bis 15. März 2020) für alle hessischen Stationen im städtischen Hintergrund und an verkehrsnahen Standorten sowie an sechs exemplarischen Stationen. Das rote Viereck gibt die NO2-Konzentration an, die über den Corona-Zeitraum (16. März bis 30. April 2020, ebenfalls 46 Tage) auf einen Mittelwert gebracht ist.
In Hessen gibt es bereits zwei Beispiele, anhand derer man beobachten kann, wie sich reduzierter Verkehr beziehungsweise Fahrverbote auf die NO2-Konzentration über einen langen Zeitraum auswirken: die Dieselfahrverbote in Darmstadt und die Sperrung des Frankfurter Mainkais. Hier liegen Messdaten über viele Monate vor, in denen verschiedene meteorologische Verhältnisse auftraten. Ein Vergleich von Mittelwerten ist hier demzufolge robust und zeigt in beiden Fällen eine deutliche Abnahme der NO2-Konzentration seit dem Beginn der Maßnahmen.
Der NO2-Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter wurde in der Hügelstraße in Darmstadt über viele Jahre stark überschritten. Daher gilt seit Juni 2019 im Einklang mit dem Luftreinhalteplan unter anderem ein streckenbezogenes Dieselfahrverbot, um die Verkehrsemissionen zu reduzieren. Der Jahresmittelwert ging daraufhin in 2019 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Mikrogramm pro Kubikmeter und damit um über 20 Prozent. Das war der mit Abstand stärkste Rückgang in Hessen.
Die Stadt Frankfurt beschloss einen stark befahrenen Straßenabschnitt des Mainkais, in der Nähe der Innenstadt, für ein Jahr zu schließen. Die Sperrung begann im August 2019 und dauert zurzeit noch an. Bereits ein Jahr vor Beginn der Straßenschließung wurden NO2-Messungen gestartet, die ebenfalls bis heute andauern. Bezogen auf die Zeit vor der Straßensperrung sind die NO2-Konzentrationen an dieser Stelle um circa 37 Prozent, absolut gesehen circa 17 Mikrogramm pro Kubikmeter, zurückgegangen. Damit liegt die Belastung nur noch wenig über den Messwerten der nahegelegenen städtischen Hintergrundmessstelle auf dem Römerberg. Auch der Vergleich mit anderen NO2-Messstellen in Frankfurt belegt den positiven Effekt des ausbleibenden Straßenverkehrs an dieser Stelle.
Da sich der Verkehr jedoch verlagert, ist zu erwarten, dass die Emissionen an anderer Stelle zu Buche schlagen. Tatsächlich führte dies zu einem leichten Konzentrationsanstieg an einer Messstelle, für die sich auch ein Verkehrszuwachs erkennen ließ. Dies war besonders auffällig, weil der Anstieg gegen die allgemeine Tendenz in Frankfurt, dass die Konzentration abnimmt, verläuft. Insgesamt beweist dies aber die eindeutige Abhängigkeit der NO2- Konzentrationen von den Verkehrsemissionen.
Der Anteil, den der Kfz-Verkehr am Feinstaub hat – insbesondere der mit dem Abgas direkt verursachte Feinstaub –, ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Daher ist nicht zu erwarten, dass sich Feinstaubkonzentrationen ähnlich wie bei den Stickoxiden aufgrund von Verkehrsminderungen reduzieren. Stattdessen gab es Ende März ein sehr selten auftretendes meteorologisches Ereignis, bei dem Saharastaubpartikel bis in unsere Breiten transportiert wurden. Dies hatte zur Folge, dass die Feinstaubkonzentrationen in Hessen für kurze Zeit ungewöhnlich hoch waren.
Unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation hat die EU zusammen mit ihren Mitgliedsstaaten einen NO2-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel festgelegt. Maßnahmen, um die Luftqualität zu verbessern und Grenzwerte einzuhalten, haben generell einen langfristigen Charakter. Sie können nicht aufgrund eines relativ kurzfristigen Effekts wie dem verringerten Verkehr über einige Wochen in Frage gestellt werden.
Da der Verkehr und die Emissionen nach dem Lockdown wieder zugenommen haben, steigen auch die Stickstoffdioxidkonzentrationen wieder an. Entscheidend dafür, dass die Grenzwerte eingehalten werden, ist der NO2-Jahresmittelwert. Es ist zu erwarten, dass dieser an einigen Stellen in Hessen 2020 trotz des Corona-Effekts nicht eingehalten werden kann.
Nicht nur der Straßenverkehr, sondern vor allem auch der Flugverkehr hat sich seit März drastisch reduziert. Im März fanden noch etwa die Hälfte der Starts und Landungen verglichen mit dem Vorjahreszeitraum statt, im April sogar nur noch etwa 15 Prozent. Eine Minderung der bodennahen Stickoxid- oder Feinstaubkonzentrationen in der Rhein-Main-Region allein dadurch lässt sich nicht erkennen. Jedoch sieht man einen deutlichen Effekt in der Belastung mit ultrafeinen Partikeln. Weht der Wind aus Richtung des Flughafens, beobachtet man typischerweise stark erhöhte Konzentrationen an besonders kleinen Partikeln, die kleiner als 30 Nanometer sind.
Seit März ist der Anteil der ultrafeinen Partikel, die dem Flugverkehr zuzurechnen sind, deutlich zurückgegangen. In Raunheim liegt die Konzentration an ultrafeinen Partikeln bei Wind aus Richtung Flughafen aktuell im Mittel etwa 40 Prozent niedriger als sonst bei gleichen Windbedingungen. An den anderen Stationen, die alle im Stadtgebiet Frankfurt liegen, kann der Effekt derzeit noch nicht beziffert werden, da der Wind seit März nur sehr selten aus Richtung des Flughafens geweht hat. Er wird sich aber etwa in der gleichen Größenordnung wie in Raunheim bewegen.
Weniger Autos auf den Straßen und gedrosselte Produktion in der Industrie führen zu weniger Emissionen. Gleichzeitig halten sich die Menschen aber häufiger zuhause auf und verbrauchen dort mehr Strom, besonders im Home-Office – hier ist entscheidend, ob der Strom aus erneuerbaren Energien, wie Wind und Sonne, oder konventionellen Energien, zum Beispiel Kohle, stammt. Während die meisten Passagierflugzeuge am Boden bleiben, weil Urlaubs- und Geschäftsreisen derzeit nicht möglich sind, transportieren Cargo-Flüge derzeit Rekordmengen an medizinischer Schutzkleidung und IT-Hardware. Der gegenwärtig niedrigere Ölpreis führt vermutlich zu einem höheren Absatz an Mineralöl. Andererseits benötigen viele ihr Auto derzeit nicht, da Fahrten zur Arbeit oder zu Kita und Schule entfallen.
Eine eindeutige Antwort auf die obige Frage nach den Treibhausgasen ist deshalb (noch) nicht möglich – zumal Zahlen zum Ausstoß von Treibhausgasen, anders als bei der Luftqualität, nicht auf Messungen, sondern auf Berechnungen beruhen. Die einzige Emittentengruppe, für die sich die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die Treibhausgas-Bilanz relativ gut abschätzen lässt, ist der Kfz-Verkehr. Denn hier sind Daten zum Rückgang der Verkehrszahlen während des Lockdowns verfügbar.
Grundlage einer solchen Abschätzung ist zunächst eine angenommene Verkehrsreduktion während des Lockdowns von 40 Prozent und eine Dauer des Lockdowns von sieben Wochen (23. März bis 10. Mai 2020). Mit Hilfe der hessenweit vorliegenden Daten zur Verkehrszusammensetzung und zu weiteren emissionsrelevanten Daten wie zum Beispiel Kraftstoffverbrauch und Emissionsfaktoren lassen sich die Emissionen der Treibhausgase Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) mit und ohne Lockdown berechnen.
Das eingesparte Treibhausgaspotential durch den siebenwöchigen Lockdown beläuft sich in Hessen für den Kfz-Verkehr auf circa 742.000 Tonnen. Das entspricht bezogen auf die Jahresemissionen des Kfz-Verkehrs von circa 13.778.000 Tonnen einer einmaligen Einsparung von etwa fünf Prozent.
Auch wenn solche kurzzeitig reduzierten Treibhausgase des Kfz-Verkehrs keine nachhaltige Umweltwirkung entfalten werden, zeigen diese Zahlen aber das Potential einer dauerhaften Verkehrsreduzierung.
Der Corona-Effekt wird sich mit Sicherheit positiv auf den Jahresmittelwert 2020 auswirken und den ohnehin rückläufigen Trend der letzten Jahre noch einmal verstärken. Allerdings nahm der Verkehr nach dem Lockdown langsam wieder zu und befindet sich seit Anfang Juni 2020 wieder auf normalem Niveau. Dass die NO2-Werte trotzdem deutlich geringer als vor dem Lockdown ausfielen, liegt am typischen Jahresgang mit niedrigeren Werten im Sommer und höheren im Winter. Seit August steigen die Konzentrationen an fast allen Stationen wieder an. Daher ist zu erwarten, dass der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter an einigen hessischen Messstellen auch 2020 wieder überschritten wird.
Die durch Corona temporär verbesserten Messwerte sollten nicht dazu führen, dass in den Bemühungen, die Luftqualität zu verbessern, nachgelassen wird. Vielmehr sollte der Corona-Effekt als Beleg dafür dienen, dass der motorisierte Straßenverkehr die Hauptquelle für die Stickoxidbelastung in den Städten ist.