Wiesbaden, 20.09.2023 – Auch, wenn es zwischenzeitlich viel geregnet hat: Erinnert sich noch jemand an die große Hitze im Juni? An verdorrte Wiesen und Parks und flirrende Luft auf dem Asphalt, die den Aufenthalt draußen fast unerträglich machte? Die Sommer werden heißer in Hessen, Hitzewellen und Trockenheit wird es in Zukunft häufiger geben. Wir müssen uns deshalb schon jetzt mit der Frage befassen, wie wir unsere Städte an den Klimawandel anpassen und sie so umgestalten können, dass man sich auch im Hochsommer gerne dort aufhält. Eine Antwort auf diese Frage lautet: Es muss mehr Grün in unsere Städte – denn Pflanzen spenden Schatten und kühlen, sie sind so etwas wie „natürliche Klimaanlagen“. Hitzeperioden und Tropennächte werden so für die Menschen in den Städten erträglicher. Dabei ist es jedoch auch wichtig, die richtigen Pflanzen auszuwählen. Denn je mehr Pflanzen selbst unter Trockenheit und Hitze leiden, desto weniger tragen sie zur Verbesserung des lokalen Klimas und der Lebens- und Aufenthaltsqualität in der Stadt bei.
Das Fachzentrum Klimawandel und Anpassung im Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) hat deshalb ein interaktives und anwenderfreundliches Online-Tool zu Stadtgrün im Klimawandel entwickelt, das Stadtplaner, kommunale Entscheidungsträger und Privatpersonen im Rahmen ihrer Planungen bei der Auswahl klimaresilienter Begrünung unterstützt. Bereits im vergangenen Herbst wurden die Module „Klimaresiliente Baumarten finden“ und „Antworten, Informationen, Handlungshilfen“ veröffentlicht, jetzt wurden sie um ein drittes Modul „Bauwerksbegrünung aussuchen“ ergänzt.
Zielsetzung des Online-Tools ist es, vor allem Kommunen den Einstieg in das Thema des klimaangepassten Stadtgrüns zu erleichtern. „Ein Baum wächst nicht von heute auf morgen, deshalb müssen wir, um die Städte der Zukunft zu planen, schon jetzt nachhaltige und richtungsweisende Entscheidungen treffen,“ sagt HLNUG-Präsident Prof. Dr. Thomas Schmid. „Viele Menschen möchten das auch gerne, brauchen dafür aber die nötigen Informationen – ob für den Bau der neuen Kita oder für den privaten Garten: Mit unserem Online-Tool Stadtgrün im Klimawandel unterstützen wir sie dabei.“ Das Tool bündelt eine Vielzahl an Informationen zum Thema und ist leicht und intuitiv bedienbar. Daher können auch Privatleute oder interessierte Akteure in Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Vereinen damit eine Fassade begrünen oder aus 180 klimaresilienten Baumarten ihren „Hausbaum“ auswählen.
Der Weg zur idealen Begrünung
Bauwerke können auf vielfältige Weise begrünt werden, verschiedene Gebäudeteile und Strukturen eignen sich für ganz unterschiedliche Begrünungsoptionen. Dabei müssen mehrere Aspekte wie Standort, Gebäudeausrichtung und -größe, Fassaden- und Dachbeschaffenheit, Statik bedacht werden. Das neue Modul teilt sich auf in Dachbegrünung und vertikale Begrünung, also die Begrünung von Wänden, Fassaden oder freistehenden Konstruktionen, wie sie etwa pergola-ähnlich zur Begrünung und Beschattung öffentlicher Plätze eingesetzt werden. Für die Fassadenbegrünung mit Kletterpflanzen, die direkt im Boden wurzeln können, wird im Tool eine umfangreiche Auswahl an klimaangepassten Pflanzenarten für die Umsetzung vorgeschlagen. In die Entscheidungsfindung einbezogen wird dabei auch, ob die Pflanzen direkt an Oberflächen haften können und sollen oder aber geeignete Rankhilfen benötigen.
Für komplexere Begrünungsmöglichkeiten wie wandgebundene Fassadenbegrünungen – dazu werden Pflanzen mit Trägern für das Pflanzsubstrat direkt an der Fassade befestigt – oder die sehr vielfältigen Möglichkeiten für Gründächer zeigt das Modul Bauwerksbegrünung viele gelungene Beispiele. Die Umsetzung ist technisch aufwendig und anspruchsvoll, sodass die Ausführung Fachwissen erfordert. Die Nutzerinnen und Nutzer können eine Vorauswahl treffen, ihre Vorstellungen konkretisieren und zur weiteren Planung anschließend einen Fachbetrieb konsultieren.
Hart im Nehmen – städtisches Grün im Klimawandel
Pflanzen in der Stadt, vor allem Stadtbäume, sind schon jetzt extremen Bedingungen ausgesetzt, sie kämpfen mit Hitze, Trockenstress und Schädlingen. Der Klimawandel verschärft diese Bedingungen noch und stellt deshalb gerade unser Stadtgrün vor besondere Herausforderungen. Viele der bisher im Stadt- und Straßenraum verwendeten Baumarten sind langfristig gefährdet – ein „Absterben auf Raten“. Da Bäume erst nach 20 bis 30 Jahren ihre volle Größe und Wohlfahrtsfunktion in der Stadt erfüllen können, ist eine vorausschauende Planung und Entwicklung hier besonders wichtig. Neben geeigneten Standorten für Bäume ist zunehmend aber auch die Begrünung von Dächern, Wänden und Fassaden zu berücksichtigen, die das Mikroklima, aber auch das Innenraumklima in Gebäuden positiv beeinflusst. Ein wesentlicher Aspekt bei allen Varianten der Begrünung ist eine nachhaltige Planung und Pflanzenwahl: Kriterien bei der Baumartenauswahl sind im Wesentlichen Hitze- und Trockenheitstoleranz aufgrund der Extremstandorte im urbanen Raum. Kriterien für die Auswahl geeigneter Bauwerksbegrünung sind in erster Linie die Beschaffenheit der Gebäudehülle (Fassade und Dach) sowie die Verfügbarkeit von Wurzelraum und Wasser. Einige heimische und auch nichtheimische Gehölze und Pflanzengruppen können die extremen Standortbedingungen und Klimaveränderungen besser vertragen und sollten in Zukunft bei der Grünplanung stärker berücksichtigt werden.
Projekt KLIMPRAX Stadtgrün – Hitzebelastung mit Pflanzen abfedern
Der Erhalt und die Schaffung von Stadtgrün in allen Ausprägungen sind ein wesentlicher Baustein klimawandeltauglicher Stadtentwicklung. Begrünungsmaßnahmen wirken sich positiv auf das Lokalklima, die Stadtgestaltung, Luftreinhaltung und die CO2-Bindung aus. Grünstrukturen bieten das Potenzial von Regenwasserrückhalt, -versickerung und Verdunstungsmöglichkeiten und sind ein wesentlicher Entwicklungsschritt auf dem Weg in Richtung wassersensible Stadtentwicklung.
Das Projekt KLIMPRAX Stadtgrün des HLNUG befasst sich deshalb seit 2020 mit der Frage, wie das Stadtgrün der Zukunft beschaffen sein sollte, und stellt Informationen zusammen, um Städte und Gemeinden dahingehend zu beraten. Mit Projektbeginn hat das Fachzentrum eine Beratungsgruppe aus zwölf Kommunen eingerichtet, die das Projekt aus der Sicht von u.a. Grünflächen-, Garten- und Umweltämtern berät und wertvolle Praxiserfahrungen einfließen lässt, die dann allen hessischen Städten und Gemeinden zu Gute kommen. Das neue Modul „Bauwerksbegrünung aussuchen“ entstand in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr.-Ing. Nicole Pfoser von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen – dabei flossen ebenfalls praktische Erfahrungen mit ein, etwa des Bundesverbands GebäudeGrün e.V. und der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.
Das Projekt KLIMPRAX Stadtgrün ist auch auf der Landesgartenschau in Fulda vertreten: Bereits im Jahr 2021 wurde durch das HLNUG ein Klimabaumpfad auf dem Gelände der Landesgartenschau gepflanzt. Hier werden exemplarisch 13 verschiedene klimaresiliente Baumarten gezeigt. Zudem gibt es dort auch einen Themengarten zur Gebäudebegrünung als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel.
Links:
https://www.hlnug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/projekte/klimprax-stadtgruen
https://www.hlnug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/projekte/klimprax-stadtgruen/online-tool
https://www.hlnug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/projekte/klimprax-stadtgruen/klimprax-stadtgruen-auf-der-landesgartenschau-fulda-2023